Logo

Dr. Bittner Business English

Professionelle Übersetzungen | Maßgeschneiderte Englisch-Schulungen

Like-Blog

So interessant können Übersetzungslösungen sein

Like-Blog

Warum Like-Blog? Nun, zum einen ist dieser Blog ein Blog, den Sie mögen (und regelmäßig lesen) sollten – zumindest dann, wenn Sie sich für Übersetzungen interessieren. Zum anderen ist das hier behandelte Thema eines, in dem die sinnstiftende Ähnlichkeit zwischen einem Text und seiner Übersetzung im Sprachenpaar Englisch-Deutsch eine zentrale Rolle spielt. Auf dieser Seite diskutiere ich einige interessante Übersetzungslösungen, die mir im Laufe meiner Tätigkeit als Übersetzer und Übersetzungswissenschaftler über den Weg gelaufen sind.

Eine Übersetzungslösung ist immer nur so gut wie die sie stützenden Argumente. Wer also positive oder negative Übersetzungskritik übt, muss diese auch begründen. Wie gut eine Übersetzungslösung ist, erweist sich erst in Relation zu anderen möglichen Übersetzungslösungen in einer gegebenen Übersetzungssituation. Daher sollte ein Übersetzungskritiker oder eine Übersetzungskritikerin nicht nur sagen, warum eine Übersetzungslösung schlecht ist, sondern auch aufzeigen, wie eine bessere Lösung aussehen könnte. Diese Grundsätze der Übersetzungskritik werde ich versuchen zu beherzigen. Das bedeutet auch: Wenn Sie Fragen zu meiner Argumentation haben oder anderer Meinung sind, lassen Sie es mich gerne wissen unter 04171 6086525 oder per E-Mail an bittner@businessenglish-hamburg.de. Doch nun genug der einleitenden Worte. Ich wünsche Ihnen viel Spaß beim Lesen!

Proximität (Oktober 2024)

Ein weiteres Mal geht es um einen Satz aus David van Biemas Artikel „Can Megachurches Bridge the Racial Divide?“ (times.com, 11. Januar 2010). In diesem Satz bezieht sich das Possessivpronomen am Anfang auf Bill Hybels, einen Pfarrer der Willow Creek Community Church: „His efforts illustrate both the possibilities and the challenges that smaller churches may face as they attempt to move beyond black and white.“

Übersetzt wurde dieser Satz folgendermaßen: „Seine Bemühungen zeigen sowohl die Möglichkeiten als auch die Herausforderungen, die kleinere Kirchen haben könnten bei ihrem Versuch, über Schwarz und Weiß hinauszuwachsen.“

Wie im Beispiel vom September 2024 gibt es in dieser Übersetzung nur geringen Optimierungsbedarf. Es geht um das Prinzip der Proximität, das sowohl im Ausgangssatz als auch im Zielsatz relevant ist.

Das Prinzip der Proximität bezieht sich auf eine, in diesem Fall semantische, Entsprechung zwischen Verb und grammatischem Objekt. Im englischen Original lautet das entscheidende Verb „face“. Das unmittelbare grammatische Objekt – das Relativpronomen „that“ – greift die beiden Substantive des Hauptsatzes „possibilities“ und „challenges“ auf. Allerdings passt das Substantiv „challenges“ noch etwas besser zum Verb „face“ als das Substantiv „possibilities“. Aus diesem Grund ist in der Satzkonstruktion das Substantiv „challenges“ näher am Verb „face“ als das Substantiv „possibilities“. Zum Vergleich: His efforts illustrate both the challenges and the possibilities that smaller churches may face as they attempt to move beyond black and white. Ein solcher Satz ist zwar möglich, wirkt aber aus dem oben genannten Grund weniger idiomatisch als das Original.

In der deutschen Übersetzung zeigt sich dieses Proximitätsprinzip noch deutlicher. Hier ist das infrage stehende Verb des Relativsatzes „haben“. Die als grammatisches Objekt dazu fungierenden Substantive lauten „Möglichkeiten“ und „Herausforderungen“. Sie erscheinen in der gleichen Reihenfolge wie die entsprechenden Wörter im englischen Ausgangssatz. Die daraus sich ergebende Nähe besteht nun zwischen dem Verb „haben“ und dem Substantiv „Herausforderungen“. Nur ist dieses Substantiv kein typisches Objekt des Verbs „haben“, sofern es als Vollverb verwendet wird: Man stellt sich Herausforderungen, man meistert oder überwindet sie, aber man hat sie nicht einfach. Höchstens als Hilfsverb: Man hat Herausforderungen zu meistern. Das Verb „haben“ passt jedoch perfekt zum anderen Substantiv, den „Möglichkeiten“.

Dem soeben skizzierten Problem lässt sich auf zwei Arten begegnen: (1) Man vermeidet das Proximitätsprinzip und nutzt für jedes grammatische Objekt ein passendes Verb; oder (2) man nutzt das Proximitätsprinzip. Als erste Lösung käme in Betracht: Seine Bemühungen zeigen sowohl die Möglichkeiten, die kleinere Kirchen haben, als auch die Herausforderungen, denen sie sich stellen müssen bei ihrem Versuch, über Schwarz und Weiß hinauszuwachsen. Die zweite Lösung ist einfacher: Seine Bemühungen zeigen sowohl die Herausforderungen als auch die Möglichkeiten, die kleinere Kirchen haben bei ihrem Versuch, über Schwarz und Weiß hinauszuwachsen. Möglichkeiten zu haben, ist sehr idiomatisch; dass Herausforderungen zu haben weniger idiomatisch ist, fällt wegen der größeren Entfernung zum Verb „haben“ (und den dazwischen auftauchenden „Möglichkeiten“) nicht ins Gewicht.

PS: Die aufmerksame Leserin wird gemerkt haben, dass – außer einer Änderung der Reihenfolge der beiden Substantive – in meinem zweiten Lösungsvorschlag auch die Verbform „könnten“ aus der deutschen Übersetzung gestrichen wurde. Das war Absicht, denn „Möglichkeit“ und „können“ liegen semantisch nah beieinander, so dass das Modalverb überflüssig ist.